2024
Der zweistöckige Altbau am Stellinger Steindamm 55 stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und erinnert bis heute an die dörfliche Geschichte des heutigen Stadtteils Stellingen. 2020 wurde der Bau verkauft und letzlich 2024 abgerissen. Weil er über die Jahrzehnte schon baulich überformt wurde, hat das Denkmalschutzamt einen Vorschlag auf Unterschutzstellung abgelehnt.
Auf einem historischen Gemälde erkennt man, wie repräsentativ das Gebäude einst wirkte, mit einer Vorfahrt und einem Rondell davor. Historische Karten zeigen, dass es bereits 1870 bestand, als Stellingen noch weitgehend ländlich geprägt war. Errichtet wurde es für die Familie des Großbauern Ramcke aus Eidelstedt. Südlich befand sich ein Hotel mit Gaststätte, Tanzsaal und Kegelbahn, das einer Familie Fuhlendorf gehörte. Rundherum waren nur Wiesen und Felder, und nördlich lag das Dorf Stellingen mit einem zentralen Teich. Neben dem Hauptgebäude gab es auf dem Grundstück ursprünglich auch ein zweigeschossiges Mehrfamilienhaus für Arbeiter, das jedoch bei den Bombenangriffen der Operation Gomorrha in der Nacht des 24. Juli 1943 zerstört und danach nur in Teilen wieder aufgebaut wurde. Das Anwesen war bis zu seinem Verkauf im Jahr 2020 in Familienbesitz.
Der älteste Teil des Gebäudes ist 10 m breit und 14 m lang. Auf seinem 5 m breiten Mittelteil sitzt ein Satteldach mit Krüppelwalm in Nord-Süd-Richtung, das von seitlichen Flachdächern im Osten und Westen flankiert wird. Der ursprüngliche Baukörper ist gut an der umlaufenden, inzwischen weiß gestrichenen Ziegelbordüre zu erkennen. Im Süden wurde später ein Anbau ergänzt. Die repräsentative Ostseite mit ihrer zweigeschossigen Veranda zeigt Richtung Stellinger Steindamm und ist nahezu unverändert. Auch die Verandafenster und die im Obergeschoss seitlich liegenden Fenster entsprechen in ihrer Abmessung und Aufteilung historischen Bildern. Sie öffnen nach außen und sind möglicherweise noch bauzeitlich. Bei den Balkonen im Osten kann man davon ausgehen, dass sie ursprünglicher Bestandteil des Gebäudes waren. Hier wird ein Holzständerwerk vor den Erdgeschossfenstern sichtbar, das die Balkone trägt und die Fenster zurücktreten lässt.
Auf der Südseite des Gebäudes schließt sich ein späterer Anbau an. Die Schuppen beherbergten einst eine Abortanlage, eine Waschküche und ein Kohlelager. Der Sielanschluss für das Grundstück und damit für die neuen Wasserklosetts erfolgte erst 1934. Der immer noch existente Waschkessel war noch bis weit in die 1950er Jahre in Betrieb und wurde auch von der Nachbarschaft genutzt.
Das Denkmalschutzamt lehnte im Juni 2023 den Denkmalvorschlag einer Nachbarin mit der Begründung ab, dass das Gebäude über die Jahrzehnte bereits zu stark verändert wurde. Aus geschichtlichen Gründen wäre es dennoch wünschenswert, dass der Bau erhalten worden wäre, weil er an die ländliche Vergangenheit Stellingens erinnert und vermutlich zu den ältesten baulichen Zeugnissen in dieser Gegend gehört hat. Aber auch ökologische Gründe hätten für einen Erhalt gesprochen, da das Gebäude mit seinen insgesamt 320 qm Wohnfläche voll funktionsfähig war und die darin enthaltene graue Energie sehr gut weitergenutzt werden hätte können.
Fotos: Helga Siegelberg, Vera Klemm