2021

Anfang der 1980er Jahre wurde am Hermelinweg in Hamburg-Farmsen ein eindrucksvoller, futuristischer Schulkomplex fertiggestellt, bestehend aus dem Gymnasium Hermelinweg (heute Erich Kästner Stadtteilschule) und der Gewerbeschule G 16 (heute Berufliche Schule BS 19). Gerade einmal 40 Jahre später wurde der baukulturell besonders hochwertige Teil der Anlage abgerissen, und der Rest soll in einigen Jahren folgen.

Die Schulgebäude reihen sich entlang einer Nord-Süd-Achse auf. An ein Serienklassengebäude des Doppel-H-Typs schließt das ehemalige Hauptgebäude der Erich Kästner Schule an, in dem vorwiegend naturwissenschaftliche Fachklassenräume untergebracht sind. Der 1981 errichtete Atriumbau wurde von den Architekten Gorges, Gorges-Imhof, Rosenbusch geplant und besteht aus einem Stahlbetonskelett mit einer vorgehängten Fassade aus strukturierten, naturfarbenen Aluminiumguss-Elementen.

Der Achse folgend schließt sich nördlich das Gebäude der ehemaligen Staatlichen Gewerbeschule Nachrichten-, Feinwerk- und Zeittechnik - G 16, der heutigen Beruflichen Schule für Medien und Technik BS 19 an. Der Stahlbetonskelettbau orientiert sich in der Form eines doppelten T an der Nord-Süd-Achse des Komplexes, wobei der Steg des T die Achse markiert. Über einen gemeinsamen Hallenraum mit Eingangsbereich und Treppenanlage wird die Verbindung zum Fachgebäude der Erich Kästner Schule hergestellt. Das 1980 fertiggestellte Gebäude wurde von den Architekten Nickels und Ohrt entworfen und ist ebenfalls mit einer naturfarbenen Aluminiumgussfassade versehen, die in Materialität und Farbe der des benachbarten Gebäudes folgt, in der Gestaltung und Detailausbildung aber eigene Akzente setzt.

Der Landesbetrieb Schulbau Hamburg SBH plante eine Grundsanierung aller Gebäude des Campus Hermelinweg und schrieb die Planungsleistungen dazu mit Wettbewerben aus. Den Wettbewerb über die Sanierung des Hauptgebäudes der Erich Kästner Schule gewannen SEHW Architekten aus Hamburg. Nach der Wettbewerbsentscheidung und Beauftragung des Büros wurde dann allerdings die Sanierung verworfen und stattdessen ein Ersatzneubau auf dem Schulgelände bei späterem Abbruch des alten Hauptgebäudes gefordert. Der Neubau wurde 2020 fertiggestellt.

Bei der ebenfalls geplanten Sanierung der ehemaligen Gewerbeschule wiederholte sich dieses Spiel: Zunächst wurde ab 2017 die Grundsanierung des Gebäudes ausgeschrieben - und zur Zeit laufen Ausschreibungen über Planungs- und Projektsteuerungsleistungen für den Komplettabbruch.

Die Gründe für die Entscheidungen gegen die eigentlich geplante Sanierung und für den Abbruch bleiben für die Öffentlichkeit im Dunkeln. Die Bauweise als Stahlbetonskelettkonstruktion sollte grundsätzlich auch weitgehende Anpassungen an neue Nutzungen im Inneren ermöglichen. Die in den Gebäuden gespeicherte „graue Energie“ hätte in Zeiten des Klimawandels ein ganz erhebliches Potential zur CO2-Einsparung dargestellt.

Beide Gebäude wurden trotz ihrer in Materialität, Farbe und Formgebung sehr eindrucksvollen und in dieser Form in Hamburg wohl einzigartigen Fassaden nicht unter Denkmalschutz gestellt. Als das Denkmalschutzamt 2014 erstmals ihren Denkmalwert überprüfte, fehlten laut Aussage des Amtes noch die methodischen Grundlagen sowie bundesweite Vergleichsbeispiele für Bauten aus dieser Zeit. Daher hat man sich damals gegen eine Unterschutzstellung entschieden und Schulbau Hamburg "grünes Licht" für den Abriss gegeben. Eine erneute Überprüfung auf Basis des inzwischen deutlich fortgeschrittenen Kenntnisstandes zur Beurteilung der Architektur der Postmoderne hätte nach Einschätzung des Denkmalvereins zu einem anderen Ergebnis führen können. 2022 hatte Schulbau Hamburg jedoch schon den Abriss in die Wege geleitet. Da das Denkmalschutzamt Entscheidungen zum Denkmalstatus immer mindestens 10 Jahre beibehält, um den Bauherren gegenüber Verbindlichkeit zu garantieren, wurde eine Unterschutzstellung nicht mehr in Erwägung gezogen. Die Hälfte des Gebäudes wurde im Frühjahr 2022 abgerissen, die andere wird noch einige Jahre schulisch genutzt und soll dann auch abgerissen werden.

Anstelle der markanten Bauten soll in Zukunft eine Hoffläche angelegt werden. Grundsaniert werden auf dem Campus Hermelinweg nur das Doppel-H-Gebäude und eine Sporthalle – beides Typenbauten aus den 60er und 70er Jahren, die in Hamburg heute in großer Anzahl vorhanden sind. Die einzigartigen und baugeschichtlich ungleich wertvolleren Bauten werden dagegen nach der aktuellen Planung bis 2027 restlos verschwunden sein.

Fotos: Meike Hansen / Archimage