Im Hinterhof der Poolstraße 12 in der Hamburger Neustadt verbergen sich noch die baulichen Reste eines ehemaligen jüdischen Tempels, der heute als Keimzelle des liberalen Judentums weltweit gilt. Nach jahrzehntelangem Verfall wurden sie im Jahr 2020 von der Stadt gekauft und sollen denkmalgerecht saniert werden - allerdings ist bis heute noch nichts davon wahrzunehmen.
In diesem Kurzvideo vom Sommer 2020 stellt der Denkmalverein die Geschichte und Gegenwart des Gebäudes vor. Der 1817 gegründete liberale "Neue Israelitische Tempel-Verein in Hamburg" baute sich von 1842 bis 1844 einen Tempel in der Poolstraße nach Plänen des Architekten Johann Hinrich Klees-Wülbern. Von dem einst dreischiffigen Gotteshaus sind heute nur noch die Reste der westlichen Vorhalle und das östliche Apsisgebäude als Kriegsruinen erhalten und in eine offene Autowerkstatt integriert.
Seit 2003 stehen die Gebäudereste unter Denkmalschutz, und die Begründung des Denkmalschutzamtes lautet: "Als Zeugnis des jüdischen Lebens in Hamburg und seiner Vielfalt besitzt das Ensemble Poolstraße 11-14 eine besondere geschichtliche Bedeutung. Darüber hinaus ist es als Anlage des Neuen Israelitischen Tempelvereins von weit über Hamburg hinausreichender, internationaler Bedeutung, handelt es sich doch um den ersten eigenen Sakralbau dieser Gemeinde, die zu einer der Keimzellen des liberalen Judentums, einer der Hauptströmungen des Judentums, wurde. Ergänzt wird diese Dimension durch die architekturhistorische und künstlerische Bedeutung der Anlage im Zusammenhang der Hamburger Baugeschichte der Mitte des 19. Jahrhunderts und insbesondere im Rahmen des weitgehend verlorenen Werkes des Architekten Johann Hinrich Klees-Wülbern. Es besteht daher ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Ensembles bestehend aus den baulichen Resten des Tempels und den Vorderhäusern an der Poolstraße."
2019 begann der besorgniserregende Zustand der ersten Reformsynagoge der Welt auch internationale Beachtung zu wecken. Besonders besorgt zeigten sich die "Foundation Jewish Heritage" in London, die Schwestergemeinden der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Großbritannien und den USA und die "World Union of Progressive Judaism". Es mehrten sich zudem Stimmen aus der Hamburger Bevölkerung, die einen Wiederaufbau forderten. Bei einer Pressekonferenz der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hamburg am 28. November 2019 hat auch der Denkmalverein ein Statement abgegeben. Im Frühjahr 2020 begannen schließlich erste Sicherungsmaßnahmen am Apsis-Gebäude.
Der Tempel befindet sich durch die jahrzehntelang ausgebliebene Instandhaltung in einem beklagenswerten Zustand. Im Dezember 2020 verkündete der Hamburger Senat jedoch, dass die Tempelreste nun gesichert und einer würdigen öffentlichen Nutzung zugeführt werden sollen. Laut Pressemitteilung der Behörde für Kultur und Medien ist das Teilgrundstück jetzt Eigentum der Stadt Hamburg. "Mit dem Ankauf wird sichergestellt, dass dieses bedeutende Kulturdenkmal dauerhaft erhalten und geschützt werden kann. Die unter Denkmalschutz stehende ehemalige Tempelanlage soll als jüdisches Kulturdenkmal und Erinnerungsort baulich erhalten und für die Öffentlichkeit zugänglich werden."
Der Verein Tempelforum e.V. äußerte sich zu dem Kauf wie folgt: „Es freut mich sehr, dass der Senat der Stadt Hamburg sich zu diesem wegweisenden Schritt entschieden hat. Nun kann dieser letzte verbleibende bauliche Überrest jüdischer Geschichte in der Hamburger Innenstadt endlich zu einem lebendigen und offenen Ort entwickelt werden. Hamburg hat jetzt die einmalige Chance, ein Kleinod der innerstädtischen jüdischen Topographie wieder sichtbar werden zu lassen.“
Da seit dem Ankauf durch die Stadt keine weiteren Entwicklungen wahrzunehmen waren, organisierten die Patriotische Gesellschaft und der Verein Tempelforum e.V. gemeinsam mit dem Denkmalverein am 23. November 2022 eine Podiumsdiskussion in der Patriotischen Gesellschaft, in der der aktuelle Zustand des Tempels scharf kritisiert wurde.
Der Denkmalverein mahnt seit vielen Jahren den besorgniserregenden Zustand des Tempels an. Da insbesondere der Apsisbereich täglich weiter verfällt, sind die notwendigen Sicherungsmaßnahmen mehr als überfällig. Der Denkmalverein sieht es kritisch, dass mehrere Jahre nach dem Ankauf durch die Stadt noch immer keine profunde baugeschichtliche Untersuchung insbesondere der unterirdischen Bereiche stattgefunden hat. Wenn beispielsweise im Boden noch Relikte der früheren Tempel-Synagoge gefunden werden, ist fraglich, ob darüber überhaupt eine bauliche Nachverdichtung stattfinden kann. Skeptisch beurteilt der Verein zudem das Vorhaben der Stadt, auf dem Grundstück Wohneinheiten realisieren zu wollen, weil das den Charakter des Ortes grundlegend verändern würde. Das Instandhaltungs-, Restaurierungs- und Nutzungskonzept sollte unbedingt der hohen Bedeutung des Ortes gerecht werden und seine besondere Aura und Authentizität erhalten.
Am 23. Mai 2023 fand ein erster Workshop statt, zu dem Verbände und Institutionen eingeladen waren, die sich für die Geschichte und Zukunft des Ortes interessieren. Der Denkmalverein hat sich in diesem Rahmen dafür ausgesprochen, zeitnah kulturelle Zwischennutzungen zu ermöglichen, die den Ort wieder zugänglich machen. Denkbar wäre beispielsweise eine Nutzung als offene Stadtwerkstatt von Arbeitsgruppen und Initiativen, die sich mit Kultur, Stadtentwicklung und der Geschichte des Tempels beschäftigen. Im benachbarten Gängeviertel ist zu erleben, wie eine Mischung von Atelier- und Diskussionsräumen ein Quartier beleben kann. Derartige Begegnungsorte sind unverzichtbar für die Stadtgesellschaft und ihre Auseinandersetzung mit Geschichte.
Historische Fotos: Institut der Geschichte der deuschen Juden, Museum für Hamburgische Geschichte
Aktuelle Fotos: Fotografie Dorfmüller | Klier, Kristina Sassenscheidt, Initiative Tempel Poolstraße